Ratgeber
Stadien der Nebennierenfehlfunktion
Autor/in:
Dr. Simone Koch (Ärztin)
geprüft von Sandy Bittner (Autoimmun-Expertin)
letzte Aktualisierung 15.02.2021
Viele, die bestimmte Beschwerdekomplexe wie Müdigkeit, Erschöpfung, teilweise extreme Stimmungsschwankungen oder Heißhungerattacken haben, glauben, dass sie zu wenig Cortisol haben weil sie eine Nebennierenschwäche haben. Das haben sie irgendwo gelesen, die Symptome passen und jetzt sind sie der Meinung, dass die Diagnose Nebennierenschwäche lautet. Oftmals ist das nicht einmal getestet, sondern es wird einfach aufgrund der Symptome angenommen.
Man muss aber die funktionelle Nebennierenfehlfunktion von der tatsächlichen Zerstörung, der autoimmunen Zerstörung der Nebenniere (Morbus Addison) unterscheiden.
Bei der autoimmunen Zerstörung wird die Nebenniere tatsächlich zerstört und kann ihre Funktion auch nicht mehr wahrnehmen. Bei den funktionellen Nebennierenfehlfunktionen ist es so, dass die Nebenniere durchaus in der Lage wäre, ihre Funktion zu erfüllen aber entweder so erschöpft und so über die Zeit ausgedünnt ist, dass sie es irgendwie nicht mehr schafft oder dass der Körper nicht möchte, dass die Nebenniere ihre Funktion vernünftig wahrnimmt.
Und da ist jetzt das Problem: diesen gesamten Komplex nennt man im englischen „Adrenal Fatigue Syndrom“. Zu deutsch: Nebennierenschwächesyndrom. Und Schwäche bedeutet ja zu wenig. Tatsächlich ist das aber nicht der Fall.
In den häufigen Stadien der Nebennierenfehlfunktion hat man zu viel. Und das ist mir ein ganz großes Anliegen, das mal klarzustellen, weil das ein ganz häufiges Missverständnis ist und in dem Zusammenhang gibt es noch ein weiteres ganz großes Missverständnis, auf das ich auch eingehen möchte.
Was macht die Nebenniere überhaupt?
Die Nebenniere produziert eine ganze Menge Hormone und die Muttersubstanz von allen ist Pregnenolon. Ein ganz großes Problem dabei ist, wenn irgendeine dieser Achsen zu viel bedient wird, also wenn die Nebenniere überbeansprucht wird und zum Beispiel zu viel Cortisol produziert werden muss, dann werden die anderen Achsen nicht mehr ausreichend bedient und dann wird nicht mehr genug Progesteron oder Aldosteron oder eben auch auf der Steroide-Achse nicht mehr genug Östrogen oder Testosteron produziert. Das kann dann bei Frauen zu Symptomen wie Haarausfall, unschöner Haut, Gewichtszunahme, Wassereinlagerung, Libidoverlust (bei beiden Geschlechtern), Fertilitätsstörungen und ähnlichem führen.
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Die vier Stadien der Nebennierenfehlfunktion
Es gibt vier Stadien der Nebennierenfehlfunktion. Zusammengestellt hat das ursprünglich ein Österreicher, der festgelegt hat, dass es vier Stadien in der Nebennierenfehlfunktion bei Überbeanspruchung der Nebenniere gibt.
Stadium 1: zu viel Cortisol – chronische Überstressung
Hier hat der Körper permanent und immerzu Stress und der Cortisolspiegel ist permanent zu hoch. Der DHEA-Spiegel (Dehydroepiandrosteron) im Stadium 1 ist tendenziell eher ein bisschen niedrig. Es kann aber auch sein, dass kompensativ der DHEA auch zu hoch ist. Also wenn der Körper noch sehr gut in der Lage ist, da entsprechend gegenzuregulieren, dann ist der DHEA-Spiegel sehr hoch.
Wie fühlt man sich dann? Meistens immer etwas unruhig, auch inneres Zittern kann damit zusammenhängen. Die Stresstoleranz ist relativ niedrig und man ist leicht reizbar. Schlafstörung ist ein weiteres Anzeichen, genauso wie große Sugarcravings (Heißhungerattacken auf Zucker) und insgesamt hat man das Gefühl ständig essen zu müssen.
Auch extreme Erschöpfung ist ein Symptom. Hier haben wir das zweite Missverständnis: zu viel Cortisol führt nicht dazu, dass man sich super und fit fühlt.
Wer das ganz stark bestätigen kann sind die Patienten mit einem Morbus Cushing. Sie produzieren aus anderen Gründen zu viel Cortisol und damit fühlt man sich überhaupt nicht gut. Man kann zu Tode erschöpft sein, so eine ganz tiefe Erschöpfung, die einen zum Teil das Leben nicht mehr lebenswert erscheinen lässt und gleichzeitig irgendwie überstimuliert. Man ist so tief erschöpft und kann aber trotzdem ganz schlecht schlafen und das macht es dann noch einmal deutlich schlimmer.
Stadium 2: zu viel Cortisol bzw. zu den falschen Zeiten – Schlafstörungen
In Sachen Schlafstörungen wird es dann im Stadium 2 so richtig schlimm. Im Stadium 2 produziert man immer noch ausreichend Cortisol oder zu viel. Es gibt viele Patienten, die immer noch weiterhin zu viel produzieren aber zur falschen Zeit und zwar meistens nachts. Das sind dann die klassischen Patienten, die morgens aufwachen und sich total gerädert fühlen. Einhergehend mit Gliederschmerzen, man kommt überhaupt nicht in die Gänge, es fällt ganz ganz schwer, aus dem Bett zukommen.
Weil der Cortisolspiegel nachts viel zu hoch ist hat man keinen vernünftigen, erholsamen Schlaf und morgens ist der Cortisolspiegel viel zu niedrig und man braucht diesen Kaffee, der die Nebenniere noch einmal wieder so richtig ankickt. Und auch im Laufe des Tages ist es meistens so, dass man sich durchschleppt. Man hat die ganze Zeit das Gefühl, dass man durchhängt und erst zum Abend hin kriegt man den sogenannten „Second Wind“, dadurch fühlt man sich plötzlich viel besser wie tagsüber, viel fitter und man wird plötzlich aktiv. Oft geht man viel zu spät ins Bett, weil es ja jetzt wieder besser geht. Dann schläft man zu wenig, weil der Schlaf schlecht und unruhig ist und das Ganze geht wieder von vorne los.

In der Tageskurve, und das ist auch besonders wichtig, sieht dieses Stadium oft flach aus, also so eine Flatline und das ist dann ganz leicht zu verwechseln mit den Stadien, zu denen wir gleich kommen, wo man dann wirklich zu wenig Cortisol hat. Dadurch, dass die Cortisolausschüttung nachts stattfindet gibt es tagsüber eine Flatline und ich habe relativ häufig Patienten, die kommen mit der Diagnose „Nebennierenunterfunktion“, was übrigens der korrekte Begriff ist, von ihrem Therapeuten.
Denn wie erwähnt bezeichnet Nebennierenschwäche den gesamten Komplex und auch die Stadien mit, in denen man viel zu viel Cortisol hat. Diese Patienten bringen dann ein Cortisol Tagesprofil mit, der quasi eine Flatline anzeigt. Und wenn man dann Gesamtcortisol über 24 Stunden misst und am besten auch eine Cortisol Nachtkurve ermittelt, dann stellt man oft fest, dass das Gesamtcortisol über 24 Stunden erhöht ist und dass es eben nachts massive Hypercortisolismen gibt.
Und wenn man diese Patienten behandelt, als hätten sie zu wenig Cortisol, dann ist das natürlich super kontraproduktiv und man erreicht genau das Gegenteil von dem, was man eigentlich erreichen wollte.
Stadium 3: der Kampf der Nebenniere
Stadium 3 steht dann ein bisschen auf der Kippe, hier kann der Cortisolspiegel wieder fast normal sein, der DHEA ist aber stark niedrig. Das ist das Stadium, wo die Nebenniere noch kämpft und versucht irgendwie alles aufrecht zu erhalten aber dann irgendwann nicht mehr kann und absackt. Hier funktionieren ganz oft schon ganz viele andere hormonelle Sachen nicht mehr gut. Also was vorher vielleicht noch einigermaßen funktionierte, wird jetzt richtig schlecht. Die Nebenniere gibt jetzt alles hinein um die Cortisolspiegel normal zu halten und die anderen Achsen werden jetzt extrem unterversorgt.
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Stadium 4: zu wenig Nebennierenhormone
Und dann kommt das Stadium 4. Hier hat man wirklich viel zu wenig Nebennierenhormone. Im Prinzip dann auch von allen und insbesondere auch viel zu wenig Cortisol. In diesem Stadium kann man dann tendenziell fast gar nichts mehr. Da reichen bereits kleinste Bewegungen und Aktionen, wie zum Beispiel den Kindern Frühstück machen aus, dass man sich super schlecht fühlt. Viele sind auch bettlägerig in diesem Stadium.
Ich möchte das an dieser Stelle noch einmal zusammenfassen. Der englische Begriff lautet: Adrenal Fatigue Syndrom und es gibt vier Stadien. Stadium 1 und 2 eher zu viel Cortisol beziehungsweise Cortisol zu den falschen Zeiten. Stadium 1 und 2 sind bei Menschen mit Autoimmunerkrankungen viel häufiger als Stadium 3 und 4. Stadium 4 ist glücklicherweise insgesamt extrem selten. Die meisten, die irgendetwas mit der Nebenniere haben, befinden sich in den Stadien 1 und 2 und haben nicht zu wenig Cortisol und sollten dementsprechend auch nicht behandelt werden, als hätten sie zu wenig Cortisol.
Und gerade im Stadium 2 ist es schnell zu verwechseln, weil es in den Kurven völlig anders aussieht. Und ich glaube, dass diese Verwirrung auf einem Übersetzungsfehler basiert, weil eben die Fatigue als Schwäche übersetzt wird und Schwäche für uns im deutschen Sprachraum „zu wenig“ bedeutet und das ist nicht der Fall, sondern es zeigt einfach dieses ganze Syndrom an, dass die Nebenniere erschöpft ist und ihre Arbeit nicht mehr so macht wie sie es eigentlich tun sollte und deswegen schreibe ich und sage ich immer Nebennierenfehlfunktion, weil sie eben ihre Arbeit nicht mehr optimal macht aber nicht zwangsweise zu wenig davon.
Ab wann macht Hydrocortison Sinn?
Hydrocortison macht erst ab Stadium 3 oder 4 Sinn, so richtig eigentlich erst ab Stadium 4. Und ob man das gut oder nicht gut findet, da gibt es noch verschiedene andere Kriterien. Ich finde, es ist immer ganz besonders wichtig, dass man sehr individuell jeden Fall betrachtet aber in den Stadien, wo man insgesamt zu viel hat macht es keinen Sinn weil man das zu viel an Cortisol insgesamt dann noch unterstützen würde, da muss ein Ausgleich stattfinden und es muss an ganz anderen Mechanismen gearbeitet werden, damit das Ganze wieder ins Gleichgewicht kommen kann.